Zuhause ist überall
Beschreibung
Barbara Coudenhove-Kalergi, 336 S., geb.
Sie ist eine der großen Damen des österreichischen Journalismus und feierte im Vorjahr ihren 80. Geburtstag. Nun liegen ihre Erinnerungen vor: Barbara Coudenhove-Kalergi nannte sie „Zuhause ist überall“ – eine Erkenntnis, die nicht jeder teilen wird, die bei ihr allerdings ein Stück der Biographie darstellt.
Sie trägt einen berühmen Namen: Jener Richard Coudenhove-Kalergi, der die Paneuropa Union begründete, war ein Bruder ihres Vaters. Legendär auch ihre japanische Großmutter, die einst dem österreichischen Diplomaten folgte und in ihrer Heimat wie „Sisi“ verehrt wird: Auf ihrem Grab am Hietzinger Friedhof hinterlassen japanische Touristen immer noch Fläschchen mit Sojasauce als Andenken.
Die Coudenhove-Kalergi zählen zum Adel, Verwandtschaft gibt es reichlich dort auf dem Boden der tschechoslowakischem Republik, wo sie leben, keine Tschechen natürlich – man nannte sich selbst „Böhmen deutscher Zunge“, Deutschböhmen, nicht Tschechoslowaken. Die Familie mütterlicherseits, die Palffy, fühlten genau so. Die Autorin konzediert heute, dass die Adeligen (darin übrigens den Juden ähnlich) doch gerne „unter sich“ blieben und als geschlossene Gesellschaft die Umwelt nach dem Motto einschätzten: Ist er einer von uns? Aber dergleichen kann man dem Einzelnen, der in Gruppenverhalten hineinwächst, wohl kaum zum Vorwurf machen. Zumal, wenn er sich so im Lauf des Lebens wenig an diese Regel gehalten hat wie Barbara Coudenhove-Kalergi.
Auf Schloß Ronsperg im Böhmerwald, nahe der bayrischen Grenze, wächst die kleine Barbara, eingebettet zwischen zwei älteren Brüdern und einem jüngeren auf, von Kinderfrauen und Missen behütet. Sommer und Ferien finden auf Schloss Bretzniz bei den Palffy statt. Außer dem Hauspersonal kennt das Mädchen, das die große Stadt Prag liebt, praktisch keine Tschechen. Viel Zeit wendet sie nun, in ihren Erinnerungen auf, die große Familie zu schildern – da gibt es wahrhaft schillernde Typen. Und einige Onkel, sich durch jüdische Ehefrauen das Naserümpfen der Umwelt zuziehen. Hat doch Opa Heinrich Graf Coudenhove ein Buch über Antisemitismus geschrieben. Und Barbara wird sich mit ihrem Vater jahrelang überwerfen, als sie einen Juden heiratet.
Nach gut 70 Seiten farbiger Familiengeschichte kommt Hitler. Barbara Coudenhove-Kalergi ist renommiert genug, um niemandem heute Theater vormachen zu müssen. Nein, die Nazi-Zeit war nicht wirklich eine Plage, zumal für die Kinder nicht. Nein, sie hat nichts vom Massenmord mitbekommen, damals nicht. Immerhin zerreißt der Krieg die Familie – Großvater Palffy wird Deutscher, einer ihrer Onkel setzt sich zu den Amerikanern ab. Aber das Grauen des Krieges manifestiert sich im Kinderalltag nicht. Und 1945 beginnt ohnedies ein neues Kapitel. Und Barbara Coudenhove-Kalergi dramatisiert auch die Vertreibung nicht – was immer „Sudetendeutsche“, wie sie nun heißen, unter dem Hass der Tschechen gelitten haben, sie und ihre Familie kommen glimpflich davon. Landen in Salzburg, in einem Jagdhaus des Großvaters Palffy. Sie haben mit den Amerikanern als Besatzungsmacht zu tun und lernen sie von der besten Seite kennen. Barbara Coudenhove-Kalergi hat eindeutig Glück.
Und als sie weg will, aus einem muffigen Nachkriegs-Österreich, funktionieren die adeligen Verbindungen: Da wird sie Au-pair-Mädchen beim englischen Adel, Evelyn Waugh geht dort aus und ein. Und als Barbara Coudenhove-Kalergi dann nach Wien kommt, beginnt wirklich ein neues Leben. Die Dolmetsch-Studentin, die nebenbei für die Caritas und Monsignore Otto Mauer arbeitet. Die „erleichtert“ ihr Studium abbricht, als Fritz Molden sie für die „Die Presse“ engagiert. Sie wird Journalistin und bleibt es ihr Leben lang.
Allerdings nicht mehr auf der bürgerlichen Seite. Bruno Kreisky (den sie hoch bewundert) gestattet, dass sie ohne „rotes“ Parteibuch für die Arbeiter Zeitung arbeitet. Nun darf sie über Politik berichten, nicht nur über Frauenthemen. Und in Gestalt von Franz Marek, im Krieg hoch dekorierter Kämpfe der Resistance, rutscht sie in die Kreise der Wiener Kommunisten (die alle einen so schönen bürgerlichen Hintergrund haben…). Was der adelige Vater zur Ehe mit einem Mann sagt, der als Ephraim Feuchtlicht auf der Mazzes-Insel aufgewachsen ist, wurde schon erwähnt. Und so, wie Barbara Coudenhove-Kalergi die Leser ihrer Erinnerungen an ihrer Familie teilnehmen ließ, schildert sie nun die farbigen Persönlichkeiten, die sich im Österreich nach dem Krieg umtun. Und sie immer mitten drin.
Mitten drin auch in den politischen Ereignissen. Die Frau, die schließlich „aus Prag“ stammt, wird auch für den ORF von Gerd Bacher zur „Osteuropa-Expertin“, sie ist beim Prager Frühling, aber auch bei Castro in Havanna, bei Mao in China und in Danzig bei Walesa, sie findet das Grab einer Kalergi-Vorfahrin (die eigentlich griechisch-russischer Abstammung war) nebenbei in Polen. Sie sitzt eine zeitlang im ORF-Büro in Prag und ist beim Fall der Berliner Mauer dabei. Keine politische Journalistin hätte sich inmitten der Wirren dieser Welt eine glanzvollere Karriere wünschen können.
Dass Barbara Coudenhove-Kalergi aus einer Epoche des Journalismus kommt, in der noch nicht das Motto „schnell, schnell!“ galt und Qualität eine Kriterium war (heute ist das vielfach anders), ermisst man an Kapiteln, die eindeutig in das Buch eingefügt sind (und, wie man lesen kann, einst im „Spectrum“ der „Presse“ oder in der „Süddeutschen“ erschienen). Da bewundert man nicht nur die erkenntnistiefen Anmerkungen zu einer Reise in die Ukraine (die einmal „bei Österreich“ war), sondern vor allem die wunderschöne Geschichte von den letzten Juden im burgenländischen Frauenkirchen… Wie gut, dass dergleichen nun auch zwischen Buchdeckeln aufbewahrt ist.
Von Barbara Coudenhove-Kalergi privat erfährt man nicht viel, aber das ist ja kein Buch für die Leser der Regenbogenpresse (es reicht schon, dass sie sich in England bei dem Versuch blamiert hat, Wiener Apfelstrudel zu backen). Als Lebensgeschichte ist das Werk signifikant. Die Autorin zieht auch die Lehren für uns, wenn sie von der schlechten Stimmung spricht, die Einwanderern heute entgegenschlägt: Daran zurückdenkend, wie man sie als Flüchtlinge in Österreich aufgenommen hat, fragt sie sich, „Was wäre aus uns Kindern geworden, wenn man uns so behandelt hätte, wie wir jetzt die Neuankömmlinge behandeln?“
Renate Wagner